Neuwertentschädigungsfälle in der Konstellation, dass das Fahrzeug nicht älter als einen Monat ist und nicht mehr als 1.000 km Laufleistung bei erheblichem Schaden aufweist, sind selten. Umso seltener sind diese Fälle bei einem Motorrad. Ein vom AG Leipzig entschiedener Fall betraf ein Motorrad, das zum Unfallzeitpunkt vier Tage alt war und 128 km Laufleistung aufwies. Ein Pkw war aufgefahren. Unter anderem waren das Hinterrad und die Hinterradschwinge beschädigt. Die Reparaturkosten beliefen sich auf etwa die Hälfte des Neupreises. Der Versicherer war der Ansicht, es liege kein erheblicher Schaden vor.
Gemäß der Rechtsprechung des BGH kommt es darauf an, dass der Schaden nicht nur „Schraubteile“ betrifft, sondern in die Substanz des Fahrzeugs eingreift (BGH 9.9.09, VI ZR 110/09). Außerdem muss das Neufahrzeug bereits erworben sein (BGH 29.9.20, VI ZR 271/19).
Bei Motorrädern ‒ und perspektivisch auch bei hochwertigen Fahrrädern, wie sie heutzutage keine Seltenheit mehr sind ‒ ist insoweit problematisch, dass mit Ausnahme des Rahmens als solchem quasi alles an- und abgeschraubt werden kann. Dies gilt sogar für Hilfsrahmen und auch für die Hinterradschwinge, die das Hinterrad führt und Federbewegungen zulässt. Die Hinterradschwinge ist hochgradig sicherheitsrelevant, wobei es sich aber eben um ein Schraubteil handelt. Vor diesem Hintergrund ist offensichtlich, dass die Kriterien für den Pkw schlecht auf Motorräder zu übertragen sind. Einen Schaden in der Größenordnung des halben Neupreises bei Einbeziehung sicherheitsrelevanter Teile nicht als erheblich anzusehen, leuchtete dem AG Leipzig nicht ein. So orientierte es sich doch an den Reparaturkosten und folgte älterer Rechtsprechung verschiedener OLG, wonach bei Reparaturkosten jenseits von 30 Prozent des Neupreises Erheblichkeit anzunehmen sei (AG Leipzig 5.4.23, 103 C 2950/22).